„Piccola Sicilia“ – kleines Sizilien. Das ist das italienische Viertel der bunten, offenen, farbenfrohen Mittelmeerstadt Tunis im Jahr 1942. Hier leben drei Religionen in guter Nachbarschaft zusammen. Doch dann erreicht der Krieg das Land. Aus dem Hotel Majestic wird die Zentrale der Nazis. Dort trifft der deutsche Kameramann Moritz auf die italienische Jüdin Yasmina. Die hat nur Augen für Victor, den Pianisten. Dessen Leben ist schon bald in Gefahr und Moritz kann ihn retten. Und: Sizilien, heute – Wasserarchäologen ziehen ein Flugzeugwrack aus dem Meer. Nina, Archäologin aus Berlin, sucht ihren verschollenen Großvater. In Sizilien trifft sie auf eine unbekannte Verwandte, die ihr Leben auf den Kopf stellen wirkt. Gemeinsam enthüllen sie das Geheimnis ihrer Familie. Drei Frauen, drei Kulturen, mehrere Generationen – ein Familienepos von einer wahren Geschichte inspiriert.
Die wichtigsten Begegnungen begreift man erst im Nachhinein als solche. Während sie geschehen, scheinen sie so selbstverständlich, als griffen die Räder des Schicksals geräuschlos ineinander, mit oder ohne unser Zutun mit oder ohne unser Einverständnis.
Piccola Sicilia, Seite 41
Familienepos, Zeitgeschichte und Kultur
Daniel Speck nimmt uns mit in eine andere Welt, in eine andere Zeit. Wir tauchen ein in einen sonnigen Herbsttag auf Sizilien. Schatzsucher entdecken eine alte, verschollene Ju52 im Meer. Diese Ju52, eines der letzten Flugzeuge, das von Tunis wieder nach Deutschland wollte, eine Flucht der Nazis, ein Flugzeug, dass einen Schatz birgt, kam nie am Ziel an. Ein Schatz, der später als „Rommels Schatz“ in die Geschichte eingeht. Diese Entdeckung ist unser Dreh- und Angelpunkt, der uns aus Piccola Sicilia in den Kriegsjahren immer wieder zurück in die Gegenwart katapultiert. Eine Gegenwart, in der Nina von einer fremden, bisher unbekannten Verwandten die Geschichte ihres Großvaters Moritz, oder Maurice, hört und wir mit ihr mit.
Was ist aus der so einleuchtenden Idee geworden, jeden Menschen als Menschen zu sehen und nur nach seinen Taten zu beurteilen?
Piccola Sicilia, Seite 199
In diesen Momenten der Gegenwart lernen wir etwas von der Nina kennen, die sie bisher war und die Nina, die sich kurz nach der Trennung von ihrem Mann vor der Welt versteckt. Und wir erleben, wie sie Stück für Stück eine neue, lebende Nina wird und Stück für Stück erfährt, was aus ihrem verschollenen Großvater geworden ist. Doch der Großteil von Daniel Specks Geschichte wirft uns mitten in das bunte, turbulente Tunis, in das Piccola Sicilia und die Medina hinein. Wortgewaltig und bildgewaltig schafft Speck es, mich dorthin zu versetzten. Eine offene, farbenfrohe Stadt, ein Viertel, in dem die Nachbarn sich helfen, in dem drei Religionen miteinander Leben, die Feste der anderen Mitfeiern und sich respektieren.
Wenn jemand in Friedenszeiten freundlich zu dir war, bedeutet das in Wahrheit nichts. Was wirklich zählte, war die Solidarität von Fremden in Zeiten des Krieges.
Piccola Sicilia, Seite 188
Eine Stadt und ein Land, dass nach dem Krieg, den die Deutschen bis direkt vor die Haustür brachten, mit Rommel, dem Wüstenfuchs, nie wieder so sein wird wie vorher. Indem die Regligionen plötzlich unter sich bleiben, Nachbarn nicht mehr ganz so aufgeschlossen sind, der einen den anderen verrät, um sich und die eigenen zu schützen. Aber auch eines, in dem es nach wie vor Hoffnung, den Glauben an das gute und an ein Happy End und Menschlichkeit gibt.
Mittendrin leben Yasmina und Victor. Beide arbeiten im Hotel Majestic. Sie sind heimliche Geliebte. Moritz, Kameramann der Propagandakompanie trifft hier auf die beiden im Jahr 1942. Er hatte einen einzigen Moment, um sich aus dem Nazi-Schlund zu befreien, Menschlichkeit in all dem Horror zu zeigen – als Victor von der SS hingerichtet werden soll und Moritz der einzige ist, der in befreien kann. Wird er es tun? Was passierte vorher, wie lebten Yasmina und Victor zuvor, wie entwickelt sich das Leben all der Menschen in Piccola Sicilia und der Krieg hier weiter? Und wie wird sich Moritz entscheiden? All das erfahren wir auf 615 Seiten, die mich tief berührten, die so viele wichtige Botschaften und so viel Kultur und Zeitgeschichte enthalten.
Die Faschisten sind nicht rational, sondern fanatisch. Ein rationaler Mensch untersucht die Wirklichkeit, um sie besser zu verstehen. Die Faschisten hassen die Wirklichkeit, weil sie zu paradox ist, sie erschaffen ihre eigene Wahrheit, in der es nur Schwarz und Weiß gibt, so lange, bis sie ihre eigenen Lügen glauben.
Piccola Sicilia, Seite 86
Hin und wieder zu viel „Nina“ & Wiederholungen
Daniel Speck hat mich fast absolut begeistern können. Denn – hin und wieder ist das Buch doch etwas zu langwierig, gerade im Handlungsstrang der Gegenwart. Hier wird nach meinem Geschmack Ninas Vorgeschichte mit ihrem Mann und ihren Gedanken rund um ihn etwas zu ausführlich behandelt. Hin und wieder kamen mir diese teilweise zwar kurzen Kapitel doch etwas überflüssig vor, da wir hier nur Gedankenfetzen von Nina mitbekommen. Hier hätte etwas Kürze gutgetan, um mehr in den spannenden Abschnitten der Vergangenheit zu bleiben und den Lesefluss etwas mehr beizubehalten. Denn diese Zeit hat Daniel Speck so lebendig, atmosphärisch, gefühlvoll und bildgewaltig dargestellt und dabei so geschickt die verschiedenen Kulturen und Religionen verwoben, dass ich das Buch trotz der Längen einfach nur lieben kann. Auch hier gab es allerdings ein paar Längen bei philosophischen Gedankengängen zu Religion und Krieg, die zwar einerseits inspirierend, wichtig und berührend waren und mich selbst zum Nachdenken anregten, andererseits aber etwas zu lang wurden oder zu oft wiederholt wurden.
Ein bunter Haufen authentischer aber nicht unbedingt sympathischer Charaktere
Ich fand bei Weitem nicht alle der vielen Charaktere sympathisch, manches Mal waren es mir auch einfach zu viele. Denn nicht jeden schafft er mitreisen zu lassen. Manche bleiben in ihrem Ist-Zustand zu Beginn der Geschichte, entwickeln sich nicht weiter – was aber auch teilweise authentisch wirkte. Dennoch sind die wichtigsten Charaktere – Nina, Victor, Mortiz, Yasmina und Albert ausgereift und für mich absolut authentisch mit teilweise guten Entwicklungen gezeichnet. Besonders Mortiz Weiterentwicklung fand ich unfassbar spannend, gerade gegen Ende war es bewegend und auch etwas bedrückend, mit ihm zu realisieren, zu welchen unfassbaren Taten die Nazi-Maschinerie fähig war. Diese innere Zerrissenheit, diese Zweifel und die Entscheidung, die er am Ende treffen muss, hat Daniel Speck für mich sehr gut transportiert und umgesetzt. Auch Victor macht im Laufe der Zeit eine starke Entwicklung durch, die aber für den Leser teilweise im Verborgenen bleibt. Nur Yasmina stagniert für mich etwas und ist auch am Ende noch immer zu naiv und „vor-Liebe-blind“.
Für Moritz waren Träume etwas, aus dem man aufschreckte, wenn man schlecht schlief. Yasminas Träume waren der Ort, an dem ihre Seele verankert war.
Piccola Sicilia, Seite 531
Weitere Rezensionen:
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